Was ich mir für die Zeit nach Corona wünsche

Mir fällt es im Moment ehrlich gesagt manchmal schwer, das Gute an der ganzen Situation zu sehen. Ich weiss nicht, wie es dir geht, aber ich finde es fühlt sich sehr ähnlich wie Liebeskummer an. Kurz nach der Trennung hat man noch die Hoffnung, es war alles nur ein Irrtum und morgen ist die Welt wieder in Ordnung. Aber irgendwann ist klar, dass die Welt nie wieder so sein wird, wie sie einmal war.

Man wacht morgens auf, hört die Vögel zwitschern, alles ist friedlich und dann … zack… ich bin verlassen worden… oder eben: Mist, Corona! Guten Morgen, liebe Sorgen. Es gibt verschiedene Strategien mit Liebeskummer umzugehen, einige davon lassen sich zur Zeit auf kollektiver Ebene im Umgang mit der Corona-Krise beobachten, ich ertappe mich selber auch dabei.

Schwierige Gefühle zulassen

Die meisten von uns haben einfach nicht gelernt, mit schwierigen Gefühlen wie Wut, Trauer und Angst umzugehen. Eigentlich müsste das auf dem Lehrplan für das Leben stehen. Aber meistens kehren wir sie unter den Teppich, wursteln irgendwie weiter und wundern uns, dass unser Leben immer komplizierter wird. Lebendig begrabene Gefühle sterben eben leider nicht einfach mit der Zeit, sondern kommen in den unpassendsten Momenten immer wieder zum Vorschein. Trotzdem laufen wir lieber vor einer Auseinandersetzung mit ihnen davon. Wir spielen sie herunter oder lenken uns schnell ab. So ist auch im Umgang mit der Corona-Krise vielerorts blinder Aktionismus zu sehen. Schnell weitermachen, bloss nicht unterkriegen lassen, alles muss weitergehen, ja nicht ausruhen, und erst recht nicht nachdenken. Das ist zunächst auch gar nicht mal die schlechteste Überlebensstrategie. Das Problem ist, dass es einen meistens dann irgendwann doch einholt. Zumindest dann, wenn man sich nicht erlaubt, auch mal innezuhalten und die dahinterliegende Angst oder Trauer auch mal bewusst zuzulassen und anzuschauen.

Mitgefühl praktizieren

Die ersten zwei Wochen waren auch bei mir davon geprägt, mich irgendwie in der “C-Situation” einzurichten. die Kinderbetreuung anders zu organisieren, meinen Sohn zuhause bei Laune zu halten, auf online-Arbeit im Home-Office umstellen, Freunde und Familie online kontaktieren und versuchen, mich gesund zu ernähren und mich wann immer möglich an der frischen Luft zu bewegen. Und trotzdem bin ich jeden Tag dünnhäutiger geworden. Es ist nicht leicht, in diesen Tagen die Nerven zu behalten.

Ich finde es in diesen Tagen wichtiger denn je, Selbstmitgefühl zu praktizieren. Das ist nicht dasselbe wie Selbstmitleid, in dem man in Zeiten grossen Kummers auch versinken kann. Selbstmitgefühl bedeutet vielmehr, achtsam mit sich selbst umzugehen, wie mit einem Menschen, den man sehr lieb hat. Es bedeutet, bei sich zu bleiben und alle Gefühle da sein zu lassen, ohne sie wegzuschieben oder sich selbst dafür zu verurteilen, dass man im Moment Angst oder Trauer fühlt. Es kann bedeuten, den Tränen einfach freien Lauf zu lassen. Es kann auch bedeuten, sich selbst liebevoll zu sagen, was das jetzt für eine schwere Zeit ist und dass man sich erlauben darf, sich mehr auszuruhen als sonst und Dinge zu tun, die das Herz trösten.

Und eigentlich sollte man das immer tun, nicht nur in Krisenzeiten. Und das ist es auch, was ich mir für die Zeit nach Corona wünsche. Dass wir aus dieser Krise gestärkt hervorgehen, dass wir mehr in Verbindung mit uns selbst kommen und dem, was in unserem Leben wirklich zählt. Und daraus auch neue Verbindungen untereinander schaffen, mit einem grösseren Bewusstsein dafür, was es bedeutet, wirklich füreinander da zu sein.

Dem Leben vertrauen

Wenn man mal ganz grundehrlich ist, wissen wir ja eigentlich nie genau, wie es weitergeht. In krisenhaften Zeiten wird uns nur viel deutlicher bewusst, wie vieles wir überhaupt nicht unter Kontrolle haben. Die Herausforderung liegt darin, trotzdem Vertrauen in das Leben zu haben. Auch die Trauer anzunehmen, die darin liegt, dass unser Leben vielleicht schneller vorbei ist, als wir dachten. Die Angst vor dem Tod ist doch oft eigentlich die Angst davor, im Leben nicht das gesagt oder getan zu haben, was man noch sagen oder machen wollte, bevor der Vorhang fällt. Warum leben wir nicht jeden Tag in dem Bewusstsein, dass es der letzte unseres Lebens sein könnte und schieben eine Aussprache oder ein Projekt vor uns her, weil wir denken, dafür haben wir jetzt keine Zeit. Auch wenn wir nicht wissen können, wie es weitergeht, können wir einfach vertrauensvoll unseren Weg weitergehen.

it is okay to not have the answer. one of the bravest things you can do is to boldly embrace the unknown, accept your fear and still continue to move forward. a clear mission does not always have a clear path.
— Yung Pueblo

Vielleicht können wir diese Krise nutzen, um mehr Vertrauen in das Leben zu entwickeln und auch in Zukunft mehr aus dem Herzen zu leben. Das ist jedenfalls meine Hoffnung.

Das Herz öffnen

Im Moment gibt es vieles, das mir das Herz bricht. Darum sehe ich auch die Parallele zum Gefühl des Liebeskummers. Ein gebrochenes Herz ist immer auch ein offenes Herz. Es ist schwer, das Herz vor Schmerz nicht zu verschliessen, aber was mir dabei wirklich hilft ist, zu meditieren. Es muss gar nicht lang und kompliziert sein.

Lege die Hände aufs Herz. Nimm ruhig sitzend drei tiefe Atemzüge, wenn du willst, auch mehr. Fühl dich geerdet und sicher. So beruhigst du deinen Körper und findest Ausgleich. Immer wieder. Mach es einfach.

Was ich mir wünsche für dich, für mich, für uns alle ist, dass wir in diesem Zustand der Offenheit Stabilität gewinnen. Jeder für sich und alle zusammen. Lass uns einander mit Lebensfreude anstecken und unsere emotionalen Schutzmechanismen hinterfragen. Vielleicht ist das mit der momentan verordneten physischen Distanz sogar eine gute Übung.

Spielräume schaffen

Und nun komme ich schlussendlich doch noch zum wirklich Positiven. Ich finde es überraschend, wie viel plötzlich möglich wird, wieviel Solidarität und Möglichkeiten entstehen, weil die Ausnahmesituation wirklich innovatives Denken und Flexibilität erfordert. Perfektionismus loslassen, einfach mal ausprobieren, neue Wege gehen. Dazu sind wir alle eingeladen. Statt ängstlich darauf zu schauen, was wir alles verlieren, können wir die Perspektive darauf lenken, was wir gewinnen können in dieser Situation. Was ich mir wünsche, ist, dass wir die neu entstehenden Spielräume auch wirklich nutzen und sie nicht nach der Krise direkt wieder eingedämmt werden, damit wieder “business as usual” gemacht werden kann. Ich glaube, die Welt wird nach Corona wirklich nicht mehr so sein, wie sie vorher war. Ich erinnere an dieser Stelle gerne an dieses schöne kleine Gedicht:

Wird’s besser? Wird’s schlimmer?
fragt man alljährlich.
Seien wir ehrlich:
Leben ist immer lebensgefährlich!
— Erich Kästner

Mit dem Frühjahrsneumond am 24. März hat aus astrologischer Sicht ein neues Jahr begonnen. Das ist also erst der Anfang. Ich gucke aus dem Fenster, heute, nachmittags am 29. März in St. Gallen und es schneit. Ein Winter fast ohne Schnee liegt hinter uns und jetzt anfangs Frühling schneit es. Na dann… bleibe ich jetzt eben mal zuhause.

P.S.: Wie geht’s dir? Ich hoffe gut! Ich meine es ernst. Bleib gesund und fühl dich umarmt. Einfach so.

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März 2020 - dieser Monat hat einen Virus

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Corona-Chaos und Frühlingsgefühle